kannste Lesen

Twitch: Play like no one is watching!

Geschrieben von Laura Engelken

Stell dir vor es ist Streamingzeit und keiner geht hin! Sei es für Ruhm, als Geldeinnahmequelle oder um Leute kennen zu lernen, ein Stream ist nur dann was wert, wenn ihn auch jemand sieht. Wahrscheinlich hat jeder, der gerne daddelt, schon mal drüber nachgedacht, dies auch auf Twitch und Co. zu veröffentlichen. Aber wer keine Fanbase mitbringt, für den kann das ganz schnell zu einem recht unbefriedigenden Erlebnis werden.

Twitch bietet Gamern die Möglichkeit, schnell und ohne viel Aufwand ihr Spiel live in die ganze Welt zu streamen. Für viele Let’s Player, die vorher schon auf YouTube aktiv waren, eröffnen sich so Wege ihre Community, direkt am Geschehen teilzuhaben zu lassen. Und genau das macht den Reiz von Streams für beide Seiten aus. Der Creator hat das sofortige Feedback seiner Zuschauer und kann drauf eingehen, egal ob er Tipps annimmt, über Witze aus dem Chat lacht oder Fragen zu seinem persönlichen Leben beantwortet. Als Zuschauer fühlt mich man sich im Gegenzug direkt eingebunden und beachtet. Damit geht in der Regel ein Gefühl der Wertschätzung einher und hebt das ganze auf eine persönliche Ebene.Zumindest soweit dies in der digitalen Welt möglich ist.

Zieht man den Vergleich zu einem klassischen Medium wie dem Fernsehen, lassen sich hier Parallelen erkennen. Soaps gibt es dort seit über sechzig Jahren und auch heute schalten beim Dauerbrenner GZSZ jeden Abend noch über zweieinhalb Millionen Menschen ein. Wer erstmal am Haken hängt, der bleibt. Egal wann man einschaltet, man landet direkt im (oft absurden, aber spannenden) Leben der Protagonisten. Spätestens ab der dritten Folge ist die persönliche Ebene erreicht. Möchte man als Streamer ein treues Gefolge haben, kommt man um die persönliche Bindung in den seltensten Fällen drum herum. Was natürlich nicht heißt, dass man sich bei jedem Spiel einen Seelenstriptease machen muss. Die meisten Zuschauer sind recht genügsam, viele wollen sich einfach nur berieseln lassen.

Ganz alleine im Stream

Wie ist es aber, wenn man drei Stunden mutterseelenallein vor seiner Kamera sitzt, zockt und nur Selbstgespräche führt, weil keiner zuguckt? Let’s Player, die bisher nur Videos für YouTube und Co vorproduziert haben werden jetzt fragen „wo liegt da das Problem?“. Seit Jahren machen diese nichts anderes. Aber natürlich ist die Erwartungshaltung eine ganz andere. Bei YouTube rechnet man mit einer bestimmten Aufrufzahl nach einer gesetzten Anzahl an Stunden oder Tagen. Die wenigsten sind enttäuscht, wenn in der ersten Stunde noch keine 100 Leute ins Video geklickt haben. Wer seinen Twitch-Stream aber nicht im Anschluss als VOD bereitstellt, dessen Spielgeschehen versickert mit hoher Wahrscheinlichkeit ungesehen im Nirvana. Frustration ist da vorprogrammiert.

Rufe ich als Zuschauer die Twitch Startseite auf, bekomme ich neben den acht Kanälen in der Slideshow auch drei „beliebte LIVE-Kanäle“ angezeigt. Die Vorschläge für die beliebten Kanäle haben bereits die 20.000 Zuschauermarke geknackt. Bei den acht vorgeschlagenen Kanälen sieht das anders aus. Hier bewegen wir uns zwischen 300 und 7.000 Viewern. Wer auf der Startseite angezeigt wird, hat also deutlich bessere Chancen, dass er spontane Zuschauer bekommt. Von den Kanälen, die zurzeit niemand beobachtet, taucht hier keiner auf. Laut Twitchtracker.com liegen die durchschnittlichen Viewerzahlen im letzten halben Jahr bei knapp 40 Zuschauern pro Stream. Da die ganz kleinen Kanäle, welche die 5-dauerhafte-Zuschauer-Hürde nicht knacken, nicht berücksichtigt werden können, stellt die Zahl nur einen groben Wert da. Er veranschaulicht aber das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf der Streamingplattform.

Natürlich ist das der errechnete Durchschnitt auf Grundlage aller stattgefundenen und berücksichtigten Streams. Ein Blick auf die Nomalverteilung würde uns da ein anderes Bild liefern. An der Spitze der Top 10.000 Kanäle stehen Streamer wie Ninja mit 9.632.130 Abbonenten und durchschnittlich fast hunderttausend Zuschauern pro Stream und einem Maximum von 430.000 in den letzten 30 Tagen. Dem gegenüber bilden Kanäle mit im Schnitt (immerhin) 77 Zuschauern das Schlusslicht. Schon ab Platz 20 sind wir nur noch bei einem Fünftel an Zuschauerzahlen. In diesem Feld bewegt sich auch ein hierzulande sehr bekanntes Gesicht: Gronkh.

Einsame Streamerherzen

Tatsächlich werden täglich auf Twitch mehrere tausend Dinge gestreamt, die gar keiner sieht (oder sehen will?). Die Seite lonelystreams beschäftigt sich mit genau diesen. Hier werden aktuell laufende Twitchstreams angezeigt, die noch keinen Zuschauer haben. Der Betreiber der Homepage hat keine Verbindung zu Twitch und zieht auch keinen finanziellen Nutzen aus der Bereitstellung der Kanalinfos. Entstanden ist die Seite ursprünglich eher aus Spaß an der Freude am Programmieren und der Erkenntnis, dass es mehr als eine Handvoll einsamer Streamer gibt. Aber der Webentwickler ist auch heute noch regelmäßig auf seiner Seite unterwegs auf der Suche nach unentdeckten Kanälen. Ähnlich ist auch das Konzept von pwning.com die sich auf die Flagge geschrieben haben kleinen Streamern mehr Viewer zu verschaffen. Diese werden entweder direkt von Twitch aufgenommen oder können sich über die Homepage melden.

Auf lonelystreams heißt es: „At any given point in time there are about 3000 livestreams on twitch alone with 0 viewers. Most of the creators are making great efforts of setting everything up and making sure their stream runs properly. It’s a shame that nobody is watching. So feel free to browse around and appreciate their hard work.“
Grob übersetzt: “Zu jeder Zeit gibt es etwa 3000 Livestreams mit 0 Zuschauern auf Twitch. Die meisten stecken viel Arbeit in ihren Stream und sorgen für einen reibungslosen Ablauf. Es ist eine Schande, dass keiner zuguckt. Also schaut euch gerne um und würdigt ihre harte Arbeit.”

Alle einsamen Streams auf einen Blick

Auch wenn das Angebot an Streams fast jeden Tag der Woche recht kontinuierlich ist, hat der Großteil der Bevölkerung abends, besonders an den Tagen zwischen Freitag und Sonntag eben am meisten Zeit zum Zusehen. Theoretisch gesehen dürfte es hier also das größte und am breitesten gefächerte Publikum geben. Was stimmt bei den einsamen Streams also nicht? Um die Frage zu beantworten habe ich mir das Wochenende Zeit genommen und in die vielen Kanäle reingeschaut, die sonst anscheinend keiner wertzuschätzen weiß. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Warum aber der Großteil keine Zuschauer findet, lässt sich schnell an drei großen Faktoren festmachen. Sie stellen zwar alle je ein einzelnes Problem dar, beeinflussen sich aber stark und wären mit etwas der genannten „harten Arbeit“ leicht zu beheben.

Die Masse – stich heraus!

Ein Großteil der Streams bei Twitch beschäftigen sich natürlich mit Spielen, denn dafür ist die Plattform ausgelegt. Also beleuchten wir mal, was hier falsch laufen könnte. Bei sieben von zehn Vorschlägen der lonelystreams sieht man Fortnite. Kein Wunder, das Spiel ist beliebt und Twitch-Dauerbrenner. Selbst Sonntagabend kurz vor Mitternacht, wenn ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung hier schon in der Heia liegt, in Tokio die ersten schon auf dem Weg ins Büro sind und in New York Dinner gekocht wird, gucken noch über 300.000 Leute zu. Wer hier aus der Masse hervorstechen will, muss entweder gut sein oder unterhalten können.

Viele streamen nur ihr Gameplay, sonst nichts. Die Aufrufzahlen zeigen, dass da durchaus zweitausend Leute im Laufe des Livestreams schon vorbei geguckt hatten, aber nicht geblieben waren. Warum auch, wenn drei der Twitch Top10 auch gerade Fortnite spielen. Denn sind wir mal ehrlich: im richtigen Leben wäre es nicht anders. Bietet man mir kostenlose Karten für ein Fußballspiel der ersten Liga und eines bei einem Verein aus der Kreisklasse, bei dem ich weiß, dass ich alleine im Stadion stehe, ist klar wo ich hin gehe. (Ausnahme wäre natürlich 1. FC Süderbrarup gegen Holzbein Kiel. Aber selbst das war moderiert.) Der Vollständigkeit halber sei gesagt, bei League of Legends und PUBG sieht es ähnlich aus.

Unterhaltung – I am here for your personality

Ein Teil dazu wurde ja schon oben erwähnt. Nennt es klischeehaft, aber ich gucke Streams wegen der Person, die sie macht. Mir ist es egal, wie gut oder schlecht der Streamer spielt, ich möchte nebenher unterhalten werden. Und mit dieser Meinung stehe ich nicht alleine. Die wenigsten Interessieren sich für das Gameplay alleine. Deshalb bevorzuge ich normalerweise Streams und Let’s Play Videos von zwei Personen, die sich nebenher auch über Themen des Alltags unterhalten oder Infos zur Spieleentwicklung beisteuern können. Es gab bei den lonelystreams durchaus auch große Singleplayer Spiele wie God of War oder Horizon Zero Dawn zu finden die Potential haben zum Plaudern. Allerdings liefen alle komplett ohne Kommentare des Spielers. Nur das nackte Spiel in seiner chronologischen Abfolge. Im Grunde könnte man das natürlich als eine Art Film auffassen. Aber so wird das Drehbuch eines Spiels eben nicht geschrieben. In den spielbaren Teilen vor und nach den Zwischensequenzen passiert recht wenig, was einem erst richtig bewusstwird, wenn man zum Nichtstun verdammt ist. Ein Streamer erzählte mir, dass er in den mehr als drei Stunden in denen er jetzt am Sonntag gestreamt hatte nie mehr als 2 gleichzeitige Zuschauer hatte. Bei etwas über 1200 Aufrufen heißt das allerdings, dass mehr als sechs Leute pro Minute zumindest mal kurz eingeschaltet hatten, geblieben war kaum einer.

Woran liegt‘s? Geht man auf seinen Chat und die Community ein, wird das Ganze zu einer Art Gespräch und verkümmert nicht zu einem Selbstgespräch. Was aber, wenn man sich bewusst ist, dass man im Grunde Niemanden hat, mit dem man reden kann oder der einem zuhören möchte? Viele schweigen einfach. Und ich denke hier liegt der Fehler. Unterhaltung von und mit Fremden ist nicht jedermanns Sache und muss oft gelernt werden. In Foren und Guidelines zum Thema „wie erreiche ich mehr Follower“ taucht immer wieder der Tipp auf, einfach in den leeren Raum zu reden und dies als Übung anzusehen, auch wenn es Jahre dauert. Schreibt man Streamer direkt im Chat an, fangen sie an etwas von sich zu geben, vorausgesetzt sie sehen das Fenster (aber dazu später mehr). Hatte man sie erstmal so weit, erzählten sie ganz lustige Geschichten und kommentieren auch nebenher das Spielgeschehen. Auch wenn man bei vielen die Scheu noch in der Stimme hören konnte. Das erklärt aber auch die Zahlen von zweitausend Twitch-Zuschauern, die im Stream vorbeigucken, aber gleich wieder gehen. Man kommt für das Thema, aber man bleibt für die Unterhaltung. Wer in seinem Stream schweigt, wenn sich jemand dorthin verirrt, hat diesen Zuschauer eigentlich schon verloren. Vergleichbar etwa mit Jokos und Klaas‘ „Die beste Show der Welt“, wo das Desinteresse der Zuschauer auch sofort abgestraft wird.

Technik – Vorbereitung ist alles

Ein weiteres großes Manko an vielen Streams ist die technische Umsetzung. Vielen fehlt schon das Equipment zum Aufnehmen. Natürlich kann man Verständnis dafür haben, wenn jemand das Streamen nur mal ausprobieren möchte oder nicht das nötige Kleingeld aufbringen kann. Eine Facecam ist kein muss, bringt aber eine persönlichere Ebene. Ob als kleines Quadrat in einer Ecke oder vor einem Greenscreen macht da kaum einen Unterschied. Die beste Kameraausrüstung an diesem Wochenende hatte ein junger russischer Raucher, der sich aus zwei Perspektiven dabei aufnahm, wie er zu Britney Spears‘ „Hit me baby, one more time“ sein Facebook Profil unter die Lupe nahm.

Oft wurde auf Headsets zurückgegriffen, wie sie Handys beiliegen. Dementsprechend war die Tonqualität. Trotz voller Lautstärke meiner Boxen waren solche nicht zu verstehen. Es gab aber auch die krassen Gegensätze. Meist saßen sie vor einem ordentlichem Mikro mit Popschutz und beschallten die Nicht-Zuseher mit Nichts! Lippenlesen war angesagt bei dem (erschreckend hohen) Anteil an Leuten, die vergessen hatten das Mikro einzustecken oder die Tonspur in den Stream einzubinden. Der andere Teil hatte im Vorfeld wohl nicht abgestimmt, wie laut der Spielsound aufgedreht werden darf, bevor man sie nicht mehr verstehen kann. Die, die verständlich Reden können, treffen auf neue Schwierigkeiten. Abgesehen von der sprachlichen Hürde, die auf dem Mangel einer global einheitlichen Sprache basiert, gibt es aber auch bei der Interaktion mit dem Chat technische Schwierigkeiten. Aufgegeben habe ich es recht schnell bei den Shooter-Spielern.

Ganz schön leer hier! Das beschreibt die traurige Situation sehr gut

Verständlicherweise ist der Hauptfokus hier auf dem schnellen Spiel. Selbst bei erfahrenen Streamern ist die direkte Interaktion begrenzt und oft werden nur die Spender wahrgenommen. Aber selbst während Wartezeiten auf ein Match oder der Vorbereitungsphase waren diese kaum ansprechbar. Aber auch bei den langsamen Spielen wie Stardew Valley oder Pokémon hat nur etwa jeder zwanzigste auf Chatnachrichten reagiert. Lag es an meinem plumpen „Hey!“? Eher nicht. Im Allgemeinen freuten sich die Streamer über Interaktion. Aber auch hier steht die Technik Vielen im Weg. Die Ansprechbaren hatten oft einen zweiten Monitor um dem Chat und auch die Zuschauerzahl dort zu folgen. Von Ihnen habe ich erfahren können, dass das ein typisches Anfängerproblem zu sein scheint. Trotz zahlreicher Tutorials, wie man einen Stream aufsetzen kann, können viele am Anfang nur ihren eigenen Bildschirm übertragen. Dies führt dazu, dass sie höchstens mal aus dem Spiel raus zum Desktop wechseln, um von da aus zum Chat zu springen. Damit ist das Beantworten von Chatfragen im Grunde gestorben.

Keine Zuschauer, keine Motivation?

Davon war am Wochenende tatsächlich aber nichts zu spüren. Ich hatte viele Streams parallel über Stunden laufen, ohne dass sie abgebrochen wurden. Wie motivieren sich die Streamer, trotzdem weiter zu machen, auch wenn keiner (ok, in dem Fall einer) zuguckt? Und welches Ziel verfolgen sie? Neben vielen YouTubern, die Twitch als zweite Heimat entdeckt haben, boomt auch die Jungstreamerszene. Streamen erfordert weniger handwerkliches Geschick als vollwertige Videos zu produzieren und hat somit zumindest hier einen klaren Vorteil als Einstiegsmedium. Warum sie alle hier sind hat ganz unterschiedliche Gründe. Gerade die Jüngeren hoffen auf Erfolg und die Aussicht Twitch zu ihrem Arbeitsplatz zu machen. Das dies nicht so einfach ist und auch die Großen der Branche meist klein angefangen haben, ist ganz offensichtlich. Im Bereich der 35 bis 50-jährigen, die regelmäßig und viel streamen, haben viele ihren Job verloren und aus diesem Grund das Streamen angefangen. Oft zeigen sie durch den Verlust erste Anzeichen depressiver Verstimmungen und suchen verständlicherweise nach einem anderen Weg der Anerkennung. Das Internet bietet zwar eine große Chance, es kann sich auch genau ins Gegenteil schlagen. Dutzende Reddit Threads lesen sich hier wie Berichte von Selbsthilfegruppen. Um eine Followerzahl von über hundert Leuten zu erreichen müssen viele Streamer über Monate damit klarkommen, nur sich selbst zu bespaßen und das am besten auch noch nach einem festen Stundenplan. Vergleiche mit anderen zu ziehen führt oft nur zur Verschlechterung der Gemütslage. Denn selbst bei tausend Followern hat man keine Garantie jemanden zu erreichen. Aber es gibt natürlich auch die, die das nur zum Spaß an der Sache machen. Sie wollen technische Kniffe ausprobieren oder einfach nur Spielen und nicht das Gefühl haben, das ganz alleine zu machen. Es besteht ja zumindest die Chance, dass jemand vorbeikommt.

Dass das Konzept von Sub4Sub weder bei YouTube noch auf anderen Seiten aufgeht, dürften mittlerweile fast alle mitbekommen haben. Viele Follower bringen nur was, wenn sie auch den Content gucken, der bereit gestellt wird. Trotzdem ist es natürlich keine Zahl, die man vernachlässigen darf. Viele Streamer haben durchaus eine Followerzahl im dreistelligen Bereich aber trotzdem keine Zuschauer. Eine Streamerin mit der ich ein längeres Gespräch hatte, hat konnte mir dazu berichten, dass viele ihrer Abonnenten noch aus einer Zeit kommen, als sie regelmäßig WOW gespielt hatte, aber jetzt wohl eher Karteileichen sind. Begonnen hatte sie ihren Stream am frühen Abend. Ihr erster Zuschauer war ein persönlicher Freund, mit dem sie eine ganze Weile gequatscht hatte. Bis ich zwei Stunden später einschaltete war keiner länger da gewesen. Während unseres Gespräches meldete sich ein weiterer Zuschauer. Da war plötzlich außer mir noch wer, das erste Mal ein Lebenszeichen an diesem Wochenende! Er war schon den ganzen Abend dabei, hatte das Fenster mit dem Steam aber nur im Hintergrund offen um ihr zuzuhören. Solche Zuhörer werden bei Twitch aber wohl nicht erfasst. Warum war er den ganzen Abend geblieben? Weil sie eine angenehme Stimme hatte und beim Einschalten schon am Erzählen war.

Diamanten und Kuriositäten

So wie sie, gab es aber durchaus ein paar Kanäle die sich als kleine Schätze erwiesen und wo es sich gelohnt hat für die Recherche dran zu bleiben. Hier und da habe ich auch ein Sub dagelassen. Aber im Vergleich zu den (tatsächlich) unzähligen Nieten, bei denen ich gelandet bin, sind wir grob bei einer Trefferquote von 1-2%. Ein eher ernüchterndes Ergebnis, selbst wenn ich alle abziehen würde, die schon drei Stunden vorm geplanten Livestream ein Wartebildschirm mit der Startzeit senden. Aber Spaß hatte ich trotzdem. Warum? Wegen der doch irgendwie skurrilen Funde, wie dem Facebook Checker mit den zwei Kameraperspektiven. Die möchte ich euch natürlich nicht vorenthalten.

  • Ein Radiosender aus Taipei wurde live übertragen. Aber nicht vom Sender selber, sondern einem treuen Fan, der sich selbst in Shorts und Polohemd grinsend in den Vordergrund geschoben hatte. Der Sender ist natürlich auch als Webradioangebot zu finden. In einer wesentlich besseren Soundqualität.
  • Wie auch im Fernsehen zur späteren Abendstunde bei Sport1 und Co gab es auch hier sich lasziv bewegende, leichtbekleidete Damen, die zwar keine Sexhotline bewarben, aber um Patreonunterstützer baten.
  • Für russische Slotmaschinenspieler scheint es einen gigantischen Markt zu geben. Es guckt zwar bei Twitch keiner zu, aber irgendwo anders in der Internetwelt müssen sie ein Publikum erreichen. Alle hatten einen zweiten Chat im Bild, in dem viel kommuniziert wurde. Gerade bei Spielerinnen mit einem tiefen Ausschnitt war dem kaum zu folgen.
  • Wer Entspannung sucht, aber keine Zeit für Urlaub hat, kann sich auch die Liveübertragung eines schönen karibischen Strands ansehen. Wahlweise ein osteuropäischer McDonalds an einer Straßenkreuzung. Da ist mehr los.
  • Spaß hatte ich mit zwei GTA Spielern, die noch mit dem Setup ihres Audioequipments beschäftigt waren. Sie saßen zu zweit vorm PC und kämpften ganze zwanzig Minuten mit den Kabeln. Ihr Auftreten ließen mich dran zweifeln, dass sie schon das Alter für GTA erreicht hatten. Ein anderer saß bei GTA V auf dem Sofa und hat eine ganze Folge Lazer Force ausgestrahlt. Danke für den Fanservice!
  • Je jünger der Streamer um so sicherer kann man sich sein, dass er seine Kameraeinstellung noch nie überprüft hat. Oder nicht mitbekommen hat, dass Mama heute das Bett gemacht hat. Man kann noch so taff rüberkommen, wenn die Glücksbärchi Bettwäsche im Hintergrund auf dem Bett liegt, zerstört das doch etwas die Illusion. Auch wenn vergessen wurde, dass der Stream noch läuft und man dann mit seiner Mama über ICQ chattet ist irgendwie niedlich.
  • Bei Listentodogs überträgt jemand live seinen Hausflur aus seiner Wohnung, während er nicht zuhause ist, um zu sehen, ob sein Hund während seiner Abwesenheit bellt. Immerhin hat er dem Hund den Fernseher angelassen, damit er sich nicht so alleine fühlt. Hilft aber nicht.
  • Ähnlich häufig wie russische Slotmaschinen waren verlassene asiatische Büroräume zu sehen. Hier passiert nichts, aber man wartet unentwegt darauf, dass ein Geist an der Kamera vorbei läuft.
  • Alan Miller, ein Herr mittleren Alters, streamt ein Bild von sich und einer weiteren sehr fröhlichen Person in einer Steppe. Die Livecam nimmt dabei ihn auf, wie er irgendetwas guckt und etwas aus einer Schüssel löffelt. Vielleicht auch einfach vergessen den letzten Stream zu beenden? Auf meine Nachfrage, ob er Eis oder Müsli isst, hat er zumindest nicht geantwortet.
  • Mein persönliches Highlight war aber ein rothaariges, australisches Medium. Ok, hier war der Aufbau wirklich mal professionell. Aber auch sie muss anderswo ihre Zuschauer haben, die sie spirituell beraten hat.

Schlussendlich kann ich jedem nur raten: wenn euch langweilig sein sollte und ihr überlegt, ob ihr zum x-ten mal einen Speedrun guckt, dann schaut doch mal bei den einsamen Streamerherzen vorbei. Man wird auf jeden Fall überrascht.