Games

Life is Strange – Before the Storm

Geschrieben von Laura Engelken

Am 11. Juni angekündigt, schon am 31. August erschienen. Nach etwas mehr als eineinhalb Jahren ist „Life is Strange“ zurück. Diesmal nicht von Dontnod Entertainment, sondern von Deck Nine Games. Der Wechsel eines Entwicklerstudios bedeutet oft Neuerungen, Änderungen, aber am häufigsten Verschlimmerbesserungen. Soviel sei schon mal verraten: Deck Nine hat einen tollen Job gemacht.

Zurück in die Vergangenheit

Aber auf eine andere Weise: Before the Storm ist im Grunde kein zweiter Teil (an diesem wird laut Dontnod bereits gearbeitet), sondern stellt als Prequel ein selbstständiges Spiel da und setzt drei Jahre vor den Ereignissen um Max Caulfield an. Diesmal spielen wir nicht Max, sondern ihre beste Freundin Chloe Price. Ohne Superkräfte und ohne blaue Haare. Aber bereits mit dem rebellischen Charakter, der uns schon im ersten Teil oft in Schwierigkeiten gebracht hat.

Wer Life is Strange verpasst hat, kann es hier nachholen: Erste Episode kostenlos

Der Fokus der ersten Episode liegt auf der schwierigen Situation in der sich Chloe befindet. Ihr Vater ist gestorben und ihre einzige Freundin mit ihren Eltern nach Seattle gezogen. Auf sich allein gestellt driftet Chloe immer weiter ab. Zuhause läuft es nicht rund, in der Schule noch viel weniger, wie das Zwischenzeugnis zeigt, das wir lose im Zimmer rumfliegen haben. Zum Glück wissen wir aus dem Vorgänger, dass es eine Person gibt, die eine große Rolle in ihrem Leben spielen wird: Rachel.  Wir begegnen ihr auf einem inoffiziellen Konzert der Band Firewalk das erste Mal. Durch ein Missgeschick gerät Chloe in eine Prügelei mit zwei dubiosen Typen. Rachel hilft ihr beim Aufmischen und Entkommen. Die Szene, wie die Freundschaft zwischen Chloe und Rachel ihren Anfang findet ist toll gemacht und man hat das Gefühl, dass es im richtigen Leben ein Kennenlernen wäre, an das man sich noch Jahre später genau erinnert. Das macht das Spielerlebnis umso trauriger, da man -sofern man Life is Strange gespielt hat- weiß, wie und wo das Ganze endet.

Der darauffolgende Tag ist zunächst den Beziehungen zwischen Chloe und anderen Charakteren gewidmet und beginnt im Hause der Prices. Mit Joyce kann man ein ernsthaftes Gespräch führen. Zu diesem Zeitpunkt in Chloes Leben scheint das Mutter-Tochter-Verhältnis noch recht gut zu sein. Einzig der Konflikt mit David steht zwischen ihnen. Dieser bemüht sich zumindest etwas mit dem Teenie klar zu kommen. Aber man ist schnell verleitet, hier den inneren Rebellen durchkommen zu lassen und auf Konfrontation aus zu sein. Auch in der Schule trifft man auf altbekannte Gesichter. Eingestehen musste ich mir allerdings, dass ich durch Life is Strange schon vorbelastet war. So habe ich sofort bereitwillig Victorias Hausaufgaben sabotiert und Nathan Prescott nicht geholfen, als er vom Sportler gemobbt wurde. Aber der Vorplatz der Blackwell Academy ist auch voller neuer Gesichter. Der derzeitige Sicherheitsbeauftragte Skip (es ist abzusehen, dass er den Job nicht für immer haben wird) spielt uns ein Demo Tape vor, man kann eine Petition unterschreiben und sogar eine Runde eines Pen & Paper Abenteuers mitspielen. Ob hier neugewonnene Sympathien zu Mitschülern im späteren Spielverlauf noch eine Rolle spielen werden, wird sich zeigen.

In der Schule verbringen wir allerdings nicht allzu viel Zeit. Zusammen schwänzen Chloe und Rachel die Schule und fahren mit dem Güterzug zu einem Ausflugsziel in den Wald, welches den Rest der Episode den Hauptschaupunkt bildet. Es wird deutlich, dass nicht unbedingt einer der beiden alleine den schlechten Einfluss auf den anderen ausübt. Vielmehr zieht jede der beiden etwas aus den Stärken der anderen.

Chloe die Rebellin
Sie schwänzt die Schule, raucht, trinkt, besucht illegale Konzerte und liegt im Klinsch mit Stiefvater David. Der Tod ihres Vaters ist allgegenwärtig. Im Haus finden sich noch Familienbilder (auch wenn Mutter Joyce sie nach und nach verschwinden zu lassen scheint) und Besitztümer die immer wieder verdrängte Gefühle wachrütteln. Hinzu kommen spielbare Erinnerungen an den Tag des Unfalls. Der Ärger über Max‘ Umzug und der damit verbundene Kontaktverlust machen ihr schwer zu schaffen. Vieles erinnert an Max und die Tagebucheinträge zeigen Chloes verletzte Seite. Sie besitzt zwar schon ihre bekannte rebellische Art, strahlt aber an vielen Stellen noch nicht die Selbstsicherheit aus, die sie beim späteren Zusammentreffen mit Max an den Tag legt. Es ist schön zu sehen, dass Rachel hier wohl eine große Rolle in der Persönlichkeitsentwicklung spielen wird. Leider wird sie nicht mehr von Ashly Burch gesprochen, da diese auf Grund eines Gewerkschaftsstreiks für bessere Entlohnung von Synchronsprechern, die Rolle abgelehnt hatte. Ein großer Verlust auf allen Seiten, hatte sie für ihre Rolle der Chloe in Life is Strange 2015 bei den Golden Joystick Awards den Preis für „Best Gaming Performance“ bekommen. Als Herzensangelegenheit hat sie dennoch das Entwicklerteam bei der Ausgestaltung des Charakters und Drehbuchausschreiben unterstützt.

Rachel das Mysterium
In Life is Strange konnten wir Rachel nie wirklich begegnen. Sie strahle von Vermisstenpostern, man konnte ihren Namen durch Graffitis auf der Schultoilette lesen und am Ende haben wir ihre Leiche ausgegraben. Jeder liebte sie, aber durch die Erzählungen unserer Mitschüler und Bewohner des Fischerdorfes konnte man nur erahnen welche Persönlichkeit dahintersteckte. Und trotzdem war sie so gut gezeichnet, dass man das Gefühl bekam, sie zu kennen. Umso mehr schmerzte damals die Erkenntnis, dass sie nie auftauchen wird. Auch wenn wir in der ersten Episode von Before the Storm nur zwei Tage in Arcadia Bay verbringen, reicht dieser Zeitraum aus um zu erkennen, warum Rachel von allen gleichermaßen geliebt wurde. Sie ist klug, sympatisch und abenteuerlustig. Auf den ersten Blick ein anziehender und mitreißender Charakter. Zum Ende der Episode zeigt sich dann jedoch, dass auch sie ihr Päckchen zu tragen hat.

Max die beste Freundin
Max war ein toller Charakter, aber so ganz bin ich nie mit ihr warm geworden. Warum der Kontakt zwischen Chloe und Max abgebrochen ist, nachdem diese wegzog, wurde in Life is Strange nie ganz beleuchtet. Es gibt eine Szene in Chloes Auto, als sie Max auf den Kopf zusagt, wie enttäuscht sie ist, dass diese nie geantwortet hat. Dazu gehören normalerweise zwei und ich bin immer davon ausgegangen, dass es aus Max‘ Sicht nicht allein an ihr lag, sondern dass die Distanz für einen schleichenden Kontaktverlust verantwortlich war. Leider scheine ich hier falsch zu liegen. Im SMS Verlauf ist deutlich zu sehen, dass Chloe Kontakt sucht, Max sie aber einfach links liegen lässt. Hoffentlich wird dieser Aspekt in den folgenden Episoden noch weiter beleuchtet. Sonst verstehe ich nicht, wie die Freundschaft erneut aufleben konnte, nachdem Max sich nicht mal dazu herabgelassen hat, sich im ersten Monat ihrer Rückkehr zu melden.

Das Gameplay

Beim Vorgänger stand die besondere Spielmechanik der Zeitreise im Vordergrund. Mit ihr hatten wir die Möglichkeit die Zeit zurückzudrehen. Hierdurch konnte man Ereignisse ändern, im kleinen Rahmen sogar teleportieren, aber vor allem Gespräche durch neu gewonnene Informationen in die richtige Richtung lenken. Die große Frage ist, funktioniert das Spiel auch ohne dieses Spielelement, oder ist es am Ende nur ein Teenie-Drama-Adventure mit ansprechender Story?

In Before the Storm wurde eine tolle Alternative geschaffen, die den Charakter von Chloe gut unterstreicht. In Gesprächssituationen kann man jetzt auf Konfrontationskurs sein um seinen Willen durchzuboxen. Ähnlich wie bei Telltale Spielen hat man nur eine begrenzte Zeit um sich für eine Antwortmöglichkeit zu entscheiden. Hierbei ist es wichtig, dem Gesprächspartner zuvor gut zugehört zu haben und Schlüsselwörter in den eigenen Antworten mit einzubauen. Verläuft das Gespräch trotzdem nicht so, wie wir es wollten, gibt es keine Möglichkeit es zu wiederholen. Verlieren wir das Wortduell mit dem Türsteher der Mühle, gewährt er uns keinen Eintritt. Da es aber das Spielgeschehen arg beeinflussen würde, kämen wir nicht hinein, findet sich natürlich eine Alternativroute. Ein nettes Feature, allerdings etwas zu leicht zu durchschauen und stellt keine wirkliche Herausforderung dar. Selbst dann nicht, wenn zwischen der Sprache der Synchronisation und der Einblendungen ein Unterschied besteht. Aber dennoch ein würdiger Ersatz, da es uns die Möglichkeit bietet mal frei Schnauze zu reden und Grenzen auszutesten. Alle Dialoge im Spiel sind großartig geschrieben und erscheinen noch glaubwürdiger als in Life is Strange.

Ein weiteres schönes Element des Originals war die Option Fotos im Verlauf des Spiels zu machen. Ich bin kein großer Sammler, auf Steamerrungenschaften pfeife ich und erfülle selten alle Nebenquests, nur um am Ende bei 100% zu landen. Aber die Fotografien im Tagebuch waren für mich der richtige Mix aus wenigen Collectibles und schönem Artwork. Die „Vorschau“ im Tagebuch war ein Anreiz die Augen offen zu halten, ohne dabei zu spoilern. Am Ende einer Episode habe ich mich tatsächlich etwas geärgert, hatte ich ein Motiv übersehen. Aber Chloe hat wohl etwas gegen Fotoapparate. Auch wenn uns im Spiel mehrere begegnen, benutzen wir keinen davon. Auch hier gibt es aber ein Pendant – Graffiti! Wenn auch nicht ganz so kunstvoll, verschönert Chloe hier und da die Welt mit kleinen Sprüchen. Diese werden wie die Fotos im Tagebuch gesammelt. Natürlich ist mir auch hier das ein oder andere durch die Lappen gegangen (ich fand das Einhornposter an der Wand zu gut, um es durch ein eigenes Kunstwerk zu ersetzen). Aber für die Sammler gibt es am Ende der Episode wieder die Möglichkeit im Sammlermodus auf die Suche nach den fehlenden Teilen zu gehen.

Ansonsten hat sich nicht viel geändert. Man kann sich immer noch recht frei durch die einzelnen Szenen bewegen, Interaktionspunkte werden durch weiß-schraffierte Umrandungen deutlich gemacht und die meisten NPCs sind ansprechbar und haben tatsächlich was zu erzählen. Es lohnt sich viel mit der Umgebung zu interagieren. Oft ermöglichen sich so neue Gesprächsoptionen oder später neue Interaktionspunkte. Hat man mal den Faden verloren reicht ein Blick auf die Hand um einem die richtige Richtung anzuzeigen. Ein geschickter Kniff um Ziele anzuzeigen, ohne eine Karte einzubinden oder ein blinkendes Symbol über einer Person oder Ort leuchten zu lassen. Passend zu seiner verträumten Art wird das Spiel an einigen Punkten entschleunigt.  Hier und da bietet sich die Möglichkeiten zur Reflektion und man hat die freie Entscheidung, wann man Sequenzen beendet. So kann man zum Beispiel einem Song, der einem gut gefällt so lange lauschen, wie man möchte oder eine stimmungsvolle Szene bis zum selbstgesetzten Ende genießen.

Was mich an der letzten Episode von Life is Strange sehr gestört hat, war die Sequenz in der Gedankenwelt auf dem Weg zum Leuchtturm. Dieser war doch arg zäh, etwas zusammenhangslos und sehr abgespaced (wenn man den Realismus trotz Zeitreisenfähigkeit berücksichtigt). Deshalb war ich guter Dinge, dass ohne besondere Fähigkeiten auf Chloes Seite diesmal so etwas keinen Einzug finden würde. Leider weit gefehlt. Hier taucht das Stilelement als Erinnerungssequenzen an Chloes Vater auf. Diese sind allerdings kurz und stimmungsvoll gehalten und fallen durchaus positiv auf.

Die Grafik und der Sound

Dem Grafikstil ist man treu geblieben. Es ist wieder eine leichte, fast träumerische Atmosphäre und Szenerie entstanden, in der man an manchen Stellen länger verweilt als es nötig wäre. Einfach weil es so schön ist. Ein wunderbares Beispiel dafür, dass man nicht immer jeden Grashalm und jede Haarsträhne animieren muss um ein optisch tolles Spiel zu erschaffen. Oft sind mir Lichtstimmung und gewählte Blickwinkel in Cutscenes viel wichtiger. Auch die Liebe zum Detail spiegelt sich im Tagebuch wieder. Man kann hier fast genauso viel Zeit beim Stöbern verbringen, wie man es mit dem Spiel an sich tut.

Die Indie-Rock-Untermalung, die zu Arcadia Bay gehört wie die Fischerei, klingt dauerhaft im Hinter- und Vordergrund, ohne dabei jemals aufdringlich zu wirken. Als Stilelement so perfekt in Szene gesetzt fallen mir nur wenig ähnlich gelungene Beispiele in Spielen oder Filmen ein.

Mein Fazit

Trotz eines komplett neuen Entwicklerteams und Synchronsprechern, hat es Deck Nine geschafft das Feeling des ersten Spiels einzufangen. Es fühlt sich an, als wäre es von Vornherein fester Bestandteil des Universums gewesen und nicht ein nachgeschobenes Prequel. Nach knapp drei Stunden ist die erste von drei Episoden vorbei. Natürlich kann man daher noch nicht über das Spiel im Ganzen urteilen, aber Episode 1 – „Erwacht“ holt mich genau da ab, wo mich Life is Strange in Episode 5 verloren hatte. Bekannte Orte fühlen sich sofort wieder vertraut an und auch wenn keiner das kleinen Kaff Arcadia Bay zu lieben scheint, man fühlt sich gleich wieder heimelich. Ungeachtet dessen, dass ich weiß wohin die Reise geht und was auf mich zukommt, berührt mich die Geschichte (mehr als die um Max) sehr und macht Lust auf mehr. Leider wurde das Spiel wieder in Episoden veröffentlicht, was für mein Empfinden den Spielfluss stark stört.
Es stehen noch zwei Episoden „Schöne neue Welt“ und „Die Hölle ist leer“, sowie eine Bonusepisode „Lebewohl“ in der man die junge Max spielt, aus.

Wertung: Life ist Strange - Before the Storm

8.6

Optik

8.3/10

Story

9.4/10

Sound

8.0/10

Atmosphäre

8.5/10

Pro

  • viele spielbare Elemente
  • Charakterdesign
  • Soundtrack
  • Dialoge

Contra

  • lange Wartezeit auf Episoden
  • wenig Herausforderungen