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Vor etwas mehr als einem Monat (12.03.2015) erschien die zweite Episode des Adventures Dreamfall Chapters: The Longest Journey “Book Two: Rebels” – satte viereinhalb Monate nach dem Release von Buch I des als Fünfteiler geplanten Titels. Ob der Anschluss an die vorangegangene Handlung geglückt ist, sich die Storyline konkretisieren konnte und ob sich meine Erwartungen als langjähriger Fan der Serie um The Longest Journey, Dreamfall und Dreamfall Chapters erfüllt haben, könnt Ihr im Folgenden erfahren.
An dieser Stelle sei auch auf zwei Artikel verwiesen, die Euch zum Einen über die Vorgänger von Dreamfall Chapters informieren und sich zum Anderen kritisch mit der ersten Episode, Book One: Reborn, auseinandersetzen.
Über 1,1 Millionen Entscheidungen nach Book One: Reborn
Mit dieser Zahl brüstet sich zumindest Entwickler Red Thread Games im Ankündigungsbereich der offiziellen Steam-Seite von Dreamfall Chapters. Zurecht – denn das Adventure fasziniert nicht zuletzt durch sein kniffliges Entscheidungssystem, bei dem eine direkte Dialogantwort oder -handlung – besonders unter Zeitdruck – nicht immer leicht fällt. Wem verraten wir welches Geheimnis? Haben wir genug Informationen gesammelt, um selbstständig einen Verräter zu entlarven und nehmen wir das Risiko auf uns, vielleicht die falsche Person gewählt zu haben? Und welche Auswirkungen wird die noch so unscheinbarste Auswahl oder Antwort im nächsten Buch haben?…
Wie ihr bereits im Durchgespielt-Artikel zur ersten Episode von Dreamfall Chapters lesen konntet, werden Entscheidungen im Dialog stets gekennzeichnet – entweder als bedeutsam für die Beziehung zum jeweiligen Gesprächpartner, beziehungsweise den Handlungsverlauf in kleinerem Rahmen – oder aber als wirklich wichtig…also so richtig! In Erinnerung an den ersten Teil der Spieleserie, The Longest Journey, aus dem Jahr 1999, werden wir darauf hingewiesen, wenn sich durch unsere Entscheidung das Gleichgewicht verschieben wird – und eben dieses spielt eine zentrale Rolle im Auftakt der Serie. Ein Entscheidungssystem gab es damals noch nicht; vielmehr konzentrierte sich die gesamte Handlung des Spiels auf die Erhaltung und die Unruhen rund um das Gleichgewicht der zwei Welten, welche wir auch im dritten Teil der Serie erkunden dürfen: das technisierte industrielle Stark und das magische fantastische Arcadia.
Wie der Name des zweiten Buches von Dreamfall Chapters “Rebels” schon vermuten lässt, haben sich die in der ersten Episode präsentierten politischen Unruhen beider Welten im zweiten Buch noch weiter zugespitzt. Und die Entwickler von Red Thread Games verstehen sich wirklich gut darauf, einen ins Schwitzen zu bringen, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen, die das Gleichgewicht verändern werden. Denn auf die unvorhergesehensten Arten und Weisen kann sich dies nicht nur auf die politische Situation (und mutmaßlich den Ausgang des letzten Buches) auswirken, sondern auch direkt auf unseren Hauptcharakter und dessen Freunde – und Feinde. Und so müssen wir oftmals eine Wahl treffen, die ganz bestimmt nicht leicht fällt: Stehe ich zu meinem Freund und unterstütze ihn, wodurch ich jedoch vielleicht soziale und politische Ungerechtigkeiten der Öffentlichkeit vorenthalte? Oder trete ich für meine Prinzipien ein, was hingegen ein für allemal die Freundschaft zerstören wird? Oder war es am Ende doch umsonst, weil Alles ganz anders kommt?…
Am Ende der zwei bisher erschienen Bücher werden uns auf jeden Fall alle bisher getroffenen wichtigen Entscheidungen präsentiert, die in der Zukunft noch eine Auswirkung haben werden. Ein mulmiges Gefühl und ich gebe zu – ich persönlich werde vor Release des dritten Buches noch einmal die zweite Episode spielen, um getroffene Entscheidungen zu revidieren. Der Eine oder andere mag aber vielleicht dennoch nicht ganz zufrieden mit der Präsentation der Entscheidungen aus der ersten Episode in der Folgeepisode sein – mich eingeschlossen. Beinahe beiläufig wird so manche – kleiner erscheinende – Auswirkung einer Entscheidung erwähnt, vielleicht einfach in einem Nebensatz. Natürlich fällt es dem Spieler auf; zumindest, wenn es die viereinhalb Monate zwischen den Episoden im Gedächtnis überdauert hat. Aber man fragt sich automatisch: Was wäre denn passiert, wenn…? Warum wird das nicht weiter ausgeführt? Ein Negativpunkt, die etwas unbefriedigende Präsentation. Ein Pluspunkt, der dadurch angeregte Wiederspielwert.
Wie war das nochmal?… – Die Handlung
Die Sache mit den Episodentiteln…Einige gehen mit gutem Beispiel voran, wie Life is strange (Square Enix, 2015), welches in einem relativ kurzem Abstand von zwei Monaten seine bisherigen Episoden veröffentlichte – jedoch handelt es sich hierbei um ein anderes Handlungsgenre; es müssen keine Erwartungen von Spielern früherer Teile erfüllt und keine umfassende Fantasywelt in ihrem Umfang präsentiert werden. Dennoch erscheinen viereinhalb Monate für die inhaltlich relativ knappen Parts von Dreamfall Chapters etwas zu lang. Besonders, wenn man den sehr langen Abstand zum zweiten Spiel der Reihe, Dreamfall, bedenkt, welches vor über acht Jahren mit einem üblen Cliffhänger endete, welcher natürlich erst im ersten Buch des Nachfolgers Chapters aufgelöst wurde.
Und so haben sich mit persönlich, um es ganz ehrlich einzugestehen, trotz meiner großen Faszination und meinem umfassenden Interesse an allen Serienteilen, einige inhaltliche Schwierigkeiten aufgetan, als nun vor einem Monat Buch II begann. Ein Beispiel, ohne zu spoilern:
In der Rolle Kian Alvanes, einem der beiden spielbaren Hauptcharaktere des Adventures, klickt man sich so durch ein Gespräch mit mehreren Nebenpersonen, als plötzlich eine weitere Figur den Bildschirm betritt – die kommt mir bekannt vor…wer war das noch mal?… Immerhin bekommt man den Namen der Person genannt, da klingelt doch schon was. Aber mehr dann auch nicht. Und plötzlich steht man da, lauscht dem recht kurzen inneren Monolog Kians, der die Person lediglich als Verräter/in identifiziert (mehr wird aber auch nicht verraten) und fragt sich….weeeer?….waaaas?…. Und klong!: Triff eine Gleichgewichts-beeinflussende Entscheidung, ob du den Verrat, den die Person in der Vergangenheit begangen zu haben scheint, in der Gesprächsrunde anprangern willst! Und ich nur wieder: weeeeer?….waaaas?…. Ich bin ehrlich: Diese Person war vor acht Jahren ziemlich wichtig, weil sie für eine entscheidende Wendung, die jemandem das Leben gekostet hat, wohl mit verantwortlich war – aber nach so langer Zeit wären doch vielleicht ein, zwei geschockte innere-Monologzeilen mehr drinnen gewesen, um dem unbedarften Spieler zu erklären, wer das noch mal ist und was diese Person getan hat, bevor man die Entscheidung treffen muss, wie mit ihr verfahren werden soll.
So knapp diese Anknüpfungen an Personen und Handlungsbegebenheiten aus den alten Teilen der Spieleserie ausfallen, so sehr kommt man sich innerhalb von Dreamfall Chapters: Book II vor, als würde man erneut die erste Episode spielen. Die Handlung kommt erst nach einiger Vorlaufzeit wieder in Gang und endet auch ebenso abrupt wieder – es erinnert an einen zweiten Anfang. So verdichten sich die Handlungsstränge zwar ungemein und die Spannung steigt, doch wurde ich persönlich einfach nicht richtig warm mit einigen Charakteren und besonders einigen Handlungssträngen, die nur in aller Kürze neu aufgerollt und sogleich wieder nach dem Motto “Coming soon…” abgeschnitten wurden. Natürlich macht eine solche Präsentation neugierig auf das, was noch kommt; schon jetzt wird in den Steamforen wieder fleißig spekuliert, welche Andeutungen/Personen/etc. was bedeutet könnten – doch hält diese Vorfreude erneut eventuelle viereinhalb Monate aus und wenn ja: erwartet uns dann erneut eine Episode, die lediglich aus Anfang und Ende zu bestehen scheint?…
Nach wenigen Stunden Spielzeit war es, ähnlich der ersten Episode, nämlich schon wieder vorbei. Natürlich muss man letztlich die Gesamtspielzeit aller fünf geplanten Episoden betrachten, die zusammen ein absolut vollwertiges Adventuregame ergeben – wenn man jedoch beim Spielen immer wieder das Gefühl hat, vor einen neuen Einstieg gestellt zu werden, ist das wiederum nicht so angenehm. Dennoch hat der als Kickstarter finanzierte Titel durch sein Episodenkonzept den damit (im ursprünglichen Kern dieses Vorgehens) verbundenen Vorteil: Die Entwickler haben Zeit, sich um ein sauberes Programming und den Aufbau einer mitreißenden Handlung zu kümmern, während sie durch die Spieler finanziert werden – so zumindest das Prinzip.
Es hapert hier, es glänzt dort und reißt letztlich doch mit – von Konzepten, Fehlern und Begeisterung
Grafisch und atmosphärisch ist Dreamfall Chapters allemal geglückt, denn auch die Präsentation des zweiten Buches kommt – besonders für nostalgische Spieler der vorherigen Teile – sehr beeindruckend daher. Endlich darf das fantastische Marcuria, ein zentraler Schauplatz Arcadias in den beiden Vorgängerspielen, erkundet werden. Und die nächtliche Szenerie mit ihren belebten Straßen, der musikalischen Untermalung und einer stimmigen Beleuchtungsromantik macht wirklich etwas her.
In Stark hingegen, der Welt, in welcher man die zweite Protagonistin Zoe Castillo spielt, hat sich bei den begehbaren Gebieten eigentlich kaum etwas getan – außer, dass manche Areale nun durch staatliche Truppen abgesperrt sich; eine Steigerung der gefährlichen politischen Situation ist deutlich spürbar. So wechselten NPCs ihren Platz, finden sich zu größeren Demonstrationsgruppen zusammen oder finden sich kniend am Boden wieder, mit vorgehaltener Waffe am Hinterkopf. Die polizeiliche Präsenz wurde verstärkt, der Zugang eingeschränkt – ein weiteres gelungenes Element, um auch dem Spieler selbst seine mit der Handlung verbundene eingeschränkte Bewegungsfreiheit deutlich spüren zu lassen.
Doch was hat nun nicht ganz so gut funktioniert?
Zunächst fragt man sich immernoch: Wo ist hier eigentlich genau das Adventure? Wo The Longest Journey noch mit Kombinationsrätseln in typischer Adventuremanier alleine hierdurch eine umfassende Spielzeit garantierte, orientierte sich Nachfolger Dreamfall schon in eine leicht andere Richtung. Stealth- und Kampfelemente wurden hinzugefügt, Kombinationsrätsel stark zurückgenommen. Und Dreamfall Chapters führt diesen Weg weiter fort: So gibt es nur sehr selten mal einen Gegenstand für’s Inventar, Kombinationsrätsel müssen kaum gelöst werden und erscheinen doch recht banal – und schon schrumpft auch die Spielzeit; sowohl für Buch I, wie auch für Buch II.
Dafür fordert das Entscheidungssystem heraus und bindet die Gedankenwelt des Spielers auf eine ganz andere Weise in diese Art des Adventures ein. Wie ich bereits im Vorgängerartikel geschrieben habe, folgen Red Thread Games damit einem nicht unerfolgreichen Trend, den vor allem Episodentitel wie The Walking Dead oder The Wolf Among Us mit begründet haben (dies sind lediglich Beispiele). Man kann daher die Frage stellen: Sind Rätsel hier wirklich wichtig oder genügt deren sporadischer Umfang? Man hätte die einzelne Episode an sich dadurch ungemein strecken können; im Gesamten gesehen erhält Dreamfall Chapters seinen Charme jedoch eindeutig durch das Entscheidungssystem und stellt damit innerhalb der Spieleserie ein ganz eigenes Unikat dar – wie auch schon die jeweiligen Konzepte der Vorgänger. Stellenweise präsentiert sich Dreamfall Chapters sogar mehr noch wie ein interaktiver Film, den man mit längeren und kürzeren Wegstrecken durchläuft und in welchem man mal mehr, mal weniger mit der Umwelt interagiert.
Wegstrecken sollen im Folgenden thematisiert werden. Denn leider hat sich Dreamfall Chapters auf seinem Weg zum Release etwas überschlagen. So erschien am 12. März lediglich die englische Sprachfassung mit deutschem Untertitel; die erste Version war jedoch derart verbuggt, dass man etwas herumfriemeln musste, um sowohl eine Sprachausgabe, als auch einen Untertitel zu erhalten – was dennoch in meiner Kombination fehlte: das Questlogbuch. Regelmäßige Meldungen verkündeten mir zwar aufdringlich, dass es eine neue Aufgabe für mich zu erledigen galt, doch beim Öffnen des Logs starrte ich nur auf gähnende Leere. So legte auch ich weitere Wegstrecken zurück und fand – meistens – nach einem längeren Marathon mein nächstes Questziel.
Am 27. März folgte dann die deutsche Lokalisation sowie französische Untertitel. Ein kleiner Wermutstropfen, wo Episodentitel doch den Vorteil haben sollen, innerhalb einer Episode technisch funktional abgeschlossen zu sein; zumal der Questlog-Bug nicht der Einzige war. Ein Vorteil des (vielleicht etwas zu vorzeitigen) Releases: Die englische Sprachausgabe erwies sich als bedeutend besser als die Deutsche! Sehr überzeugende und professionelle Sprecher, die ein stimmiges Gesamtbild der Dialoge, Monologe und Umgebungslokalisation erschaffen – besser, als in der vorangegangenen deutschen Version der ersten Episode.
Ebenfalls gelungen: Die Charakterisierung der Begleitfiguren Kian Alvanes, welche mich durch ihre gekonnt getexteten Dialoge recht häufig zum Lachen und Schmunzeln gebracht haben. Interessant erscheint auch beinahe beiläufige Thematisierung eines Feldes, welches ich so bisher in Videospielen nicht aufgefunden oder wahrgenommen habe: Die zwar eindeutige, wenn auch nur im Ansatz präsentierte Anspielung auf Pädophilie, deren Einsatz im Spiel in den Steamforen schon heiß diskutiert wurde. Gewiss ein Thema, dass man in einem Fantasyadventure nicht erwartet hätte; auch, wenn es sich durch Sprache und Inhalt eindeutig an erwachsene Spieler richtet.
Wann geht’s denn endlich weiter?? – Ein Fazit
Nach dem zweiten Buch, welches natürlich mit einer mehr oder weniger aufschlussreichen Zusammenfassung meiner Entscheidungen endete, kann ich schließen, dass ich auf jeden Fall neugierig und gespannt auf die nächste Episode bin. Dennoch ist mit kritischem Blick abzuwarten, ob sich mit Buch III erneut ein langgezogener Einstieg mit einem weiteren abrupten Ende präsentieren wird, der wieder einmal tausend Türen öffnet, aber keine mit dem großen erleuchteten “Ahhhhh!” schließt. Denn genau darauf hoffe nicht nur ich, sondern auch die zahlreichen anderen Fans, die nun begierig auf die Beantwortung ihrer Fragen warten: “Wer ist das?…Moment, ist das etwa….?! NEIN! Haaaa! Hahaaa!” – nun, so ungefähr könnte es klingen, wenn Red Thread Games die Spieler hoffentlich nicht allzu lange auf die Folter spannen und vielleicht in Buch III damit beginnen, an einigen der geöffneten Türen wenigstens ein Namensschild anzubringen, damit die aufgebaute Spannung letztlich nicht doch vorschnell verpufft.
Spielen? Auf jeden Fall! Aber natürlich erst nach Dreamfall. Und viel wichtiger: nach The Longest Journey. Denn nur dann kann man vielleicht damit anfangen, wenigstens für sich selbst ein paar gemutmaßte Namensschildchen an den geöffneten – und noch geschlossenen – Türen anzubringen.