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Speedrunning bricht alle Regeln

Speedrunning im Trend
Geschrieben von Lets-Plays.de Redaktion

Videospiele waren ursprünglich dazu gedacht, zu unterhalten, herauszufordern und Geschichten zu erzählen – und meistens auch Zeit in Anspruch zu nehmen. Doch während viele Spieler sich mit der erzählten Geschichte, den Herausforderungen und dem ästhetischen Erlebnis begnügen, gibt es eine Subkultur, die Videospiele auf eine radikal andere Weise betrachtet: Speedrunner. Für sie zählt nur eines – Geschwindigkeit. In Windeseile durch ein komplexes Spiel zu rauschen, das oft für Dutzende Spielstunden konzipiert wurde, übt auf viele eine fast magische Faszination aus.

Doch Speedrunning ist weit mehr als nur „schnell durchkommen“. Es ist eine Kunst, die technisches Können, Geduld, Experimentierfreude und oft auch ein tiefes Verständnis von Spielmechanik und Softwaredesign erfordert. Warum brechen Speedrunner absichtlich Spiele, suchen nach Glitches und riskieren stundenlange Fehlschläge, nur um Sekunden zu sparen?

Ursprünge des Speedrunning

Speedrunning hat seine Wurzeln in den Anfängen des digitalen Spielens. Schon in den 1980er Jahren versuchten Gamer, sich in Arcade-Hallen gegenseitig mit Highscores zu überbieten. Doch mit dem Aufkommen komplexerer Computerspiele änderte sich der Fokus: Es ging nicht mehr nur darum, Punkte zu sammeln, sondern darum, den gesamten Spielverlauf zu optimieren. Klassiker wie Doom und Quake boten nicht nur actionreiche Kämpfe, sondern auch die Möglichkeit, Zeitlimits zu unterbieten. Die Spieler begannen, Demodateien auf Disketten auszutauschen, später entstanden Foren, in denen man Runs diskutierte und Strategien austauschte.

Der eigentliche Durchbruch kam mit Plattformen wie YouTube und Twitch. Plötzlich konnten Speedruns einem weltweiten Publikum zugänglich gemacht werden. Die Zuschauerzahlen wuchsen rasant, und mit ihnen der Ehrgeiz der Runner. Das Internet ermöglichte eine völlig neue Art von Gemeinschaft, die gemeinsam an der Perfektionierung von Strategien arbeitete. Speedruns auf Youtube würden für Gaming-Kanäle zum Highlight. Ein einzelner entdeckter Trick konnte sich innerhalb weniger Stunden über die gesamte Community verbreiten – und den Verlauf der Rekordjagd dramatisch verändern.

Warum Glitches so wichtig sind

Für viele Außenstehende wirken Speedruns wie ein Betrug am Spiel selbst. Wieso sollte man einen Spielfehler, der eigentlich nie vorgesehen war, gezielt nutzen? Warum sich durch Wände „clippen“, eine Endsequenz herbeiführen, ohne den letzten Boss zu besiegen, oder absurde Steuerungseingaben machen, die das Spiel verwirren? Die Antwort liegt im Wesen des Speedrunning. Es ist eine Herausforderung, das System selbst zu überlisten. Ein Glitch ist hier nicht einfach ein Fehler, sondern eine Einladung.

Glitches entstehen oft aus unvorhergesehenen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Systemen: Speicherüberläufe, falsch gesetzte Kollisionsabfragen, Timing-Probleme. Speedrunner lernen, diese Schwächen zu erkennen und auszunutzen. Doch das erfordert enorme Expertise: Was in Tutorials wie ein einfacher Trick aussieht, ist oft das Ergebnis monatelanger Forschung und Präzisionsarbeit. Die Speedruns bei den Rocketbeans werden beim aktiven Run kommentiert, so dass auch Neulinge schnell Anschluss an diese Thematik finden.

Dabei unterscheidet die Speedrunning-Community verschiedene Kategorien, die bestimmen, was erlaubt ist und was nicht:

  • Any%: Hauptsache, das Ziel wird erreicht, egal wie.
  • 100%: Alles sammeln, alle Aufgaben erledigen.
  • Glitchless: Ohne Ausnutzen von Programmfehlern.

Jede Kategorie hat ihre eigene Community, ihre eigenen Rekordlisten, und oft auch ihre eigenen Stars. Glitches sind deshalb nicht nur technische Mittel, sondern ein kreatives Element. Sie verändern den Blick auf ein Spiel, machen aus einem linearen Abenteuer ein Puzzle voller Möglichkeiten – und eröffnen Räume, die selbst die Entwickler nie vorgesehen haben.

Technik und Präzision beim Gaming

Speedrun auf YouTube streamen

Wer denkt, dass Speedrunning nur aus Tricks und Abkürzungen besteht, unterschätzt die technische Dimension dieser Praxis. Jeder Speedrun ist auch ein Akt höchster Präzision. Oft entscheidet nicht nur die Sekunde, sondern der Bruchteil einer Sekunde über Erfolg oder Misserfolg. Die besten Speedrunner üben nicht nur Bewegungsabläufe auswendig, sondern perfektionieren diese bis auf die Ebene einzelner Frames. Das Zocken maximiert zudem die Treffsicherheit.

Das bedeutet: Sie wissen exakt, wann sie eine Taste drücken, wann sie springen, wann sie Gegner umgehen und wann sie absichtlich Schaden nehmen, um Zeit zu sparen. Oft kommen Hilfsmittel wie Frame-Counter, Input-Recorder oder Emulatoren mit Slow-Motion-Funktion zum Einsatz, um Bewegungsabläufe zu analysieren. Diese technische Raffinesse lässt Speedrunning oft mehr wie Hochleistungssport oder sogar wie angewandte Wissenschaft erscheinen als wie ein Freizeitvergnügen.

Auch Hardware spielt eine Rolle. Die Wahl des Controllers, der Bildschirmverzögerung, sogar der Konsolen- oder PC-Generation kann entscheidend sein. Viele Speedrunner investieren nicht nur Zeit, sondern auch Geld, um ihr Setup zu optimieren. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Hobby und Profession. Die Ausrüstung bei ambitionierten Gamern muss somit in dem Fall gegeben sein, um konkurrenzfähig zu sein.

Zusammenarbeit trotz Wettbewerb

Speedrunning mag auf den ersten Blick wie ein Einzelkampf wirken – ein Wettlauf gegen die Uhr. Doch die Speedrunning-Community ist geprägt von Zusammenarbeit. In Foren, auf Discord-Servern, in Chatrooms und bei Streaming-Events wird gemeinsam geforscht, getestet, dokumentiert. Läufer teilen ihr Wissen großzügig, analysieren Runs anderer, geben Tipps und helfen beim Training.

Events wie Games Done Quick (GDQ), die zwei Mal im Jahr stattfinden, haben die Community in den Mainstream katapultiert. Hier treten die besten Speedrunner live auf, vor einem Millionenpublikum, und sammeln gleichzeitig Spenden für wohltätige Zwecke. Diese Veranstaltungen sind nicht nur spektakulär, sondern auch ein Zeugnis für die Leidenschaft und den Teamgeist, die die Szene prägen. Trotz aller Konkurrenz herrscht oft eine Atmosphäre gegenseitiger Anerkennung und Unterstützung – denn jeder Rekord baut letztlich auf dem Wissen vieler anderer auf.

Psychologie des Speedrunners

Warum widmen Menschen hunderte Stunden einem einzigen Spiel, nur um ihre Zeit um ein paar Sekunden zu verbessern? Die Psychologie hinter dem Speedrunning ist komplex. Einerseits bietet es die Möglichkeit, in einen sogenannten „Flow“-Zustand zu gelangen – ein Gefühl vollständiger Versunkenheit, bei dem alle Gedanken an Zeit und Umgebung verblassen. Andererseits stellt sich bei Speedrunner oft ein spezifischer Ehrgeiz ein: der Wunsch, sich selbst zu übertreffen, technische Perfektion zu erreichen und Teil einer weltweiten Rekordjagd zu sein.

Doch Speedrunning ist auch ein Spiel mit Frustration. Runs scheitern oft an Kleinigkeiten: ein misslungener Sprung, ein verpasster Glitch, eine winzige Unaufmerksamkeit. Viele Speedrunner berichten, dass sie genau diesen Mix aus Perfektionismus, Geduld und Beharrlichkeit reizvoll finden. Es geht nicht nur ums Ziel, sondern auch um den Weg dorthin. Gutes Beispiel ist das Game „Chained Together“, ein wahrlich nervenauftreibendes Spiel. Vor allem im Koop-Modus. Obwohl das Spiel wirklich viele zur Verzweiflung getrieben hat, gab es ehrgeizige Gamer, die sich mit Bestzeiten übertrumpften.

Für manche wird Speedrunning sogar zu einer Art Achtsamkeitsübung: Immer wieder dieselben Bewegungen auszuführen, sich zu konzentrieren, Fehler zu akzeptieren und weiterzumachen. Es ist eine Kunst der Disziplin – und für viele ein Ausgleich zur hektischen Außenwelt.

Kunst des bewussten Regelbruchs

Speedrunning ist mehr als nur das schnelle Durchspielen von Games. Es ist ein kreativer Akt, ein technologisches Experiment und ein soziales Phänomen zugleich. Indem Speedrunner gezielt Grenzen überschreiten, zeigen sie, dass ein Spiel nicht nur das ist, was die Entwicklerinnen vorgesehen haben – sondern auch das, was Spieler daraus machen.

Die Kunst, Spiele zu brechen, offenbart oft eine tiefe Wertschätzung für das Medium: Speedrunner kennen Spiele oft besser als jeder andere, sie analysieren, sezieren und perfektionieren sie. Am Ende geht es nicht nur um Rekorde, sondern um die Freude am Entdecken, am Tüfteln, am Verbessern. Und vielleicht liegt genau darin der Zauber des Speedrunning: Es zeigt, dass selbst in einem vorgegebenen System immer noch Raum für Freiheit, Kreativität und Überraschung bleibt.