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Gender und Diversity in Games

Gender und Diversity in Games
Geschrieben von Lets-Plays.de Redaktion

Videospiele sind längst keine Nische mehr. Was einst in dunklen Jugendzimmern flackerte, begeistert heute weltweit Millionen – quer durch Altersgruppen, Geschlechter, Kulturen. Es wird gezockt, gestritten, gerettet, geliebt. Games sind Welten im Miniaturformat. Sie erzählen Geschichten, lassen uns fliegen, kämpfen, zweifeln – und sie offenbaren, manchmal unverblümt, unsere gesellschaftlichen Vorstellungen davon, wer wir sind und wer wir sein dürfen.

Aber wie sieht es aus mit der Vielfalt in diesen Welten? Wie offen und inklusiv ist eine Branche, deren Geschichten die Fantasie beflügeln – und die Realität oft links liegen lassen?

Klischee des Helden

Ein Spiel beginnt oft wie ein Film. Intro, Musik, Kamera schwenkt über einen zerstörten Planeten oder eine pulsierende Metropole. Und dann tritt er ins Bild: der Protagonist. Groß, stark, männlich. Die Schultern breit wie ein Garagentor, der Blick entschlossen, die Waffe stets griffbereit. Es wirkt wie ein Déjà-vu – und ist es auch. Jahrzehntelang wurde vor allem eine Heldengestalt erzählt: weiß, heterosexuell, männlich, muskulös. Eine Art Actionfigur auf Speed.

Doch was ist mit den anderen? Mit der Gamerin, die ihre Heldin sucht, aber nur knapp bekleidete Magierinnen findet? Was ist mit dem schwulen Spieler, der sich zum x-ten Mal zwischen zwei heteronormativen Romanzen entscheiden soll? Oder dem nicht-binären Teenager, für den es keine Spielfigur gibt, die sich auch nur annähernd nach „Ich“ anfühlt?

Gerade für jene, die im Alltag nicht gesehen werden, kann es bedeutsam sein, in digitale Welten flüchten zu können – Orte, in denen sie sich selbst wiederfinden, mitfühlen und mitgestalten dürfen. Doch wenn auch dort nur stereotype Bilder regieren, wird aus der Flucht kein Befreiungsschlag, sondern eine erneute Ausgrenzung. Repräsentation ist kein Luxus. Sie ist ein Bedürfnis. Denn wer sich selbst nie sieht, fühlt sich auf Dauer wie ein Gast in einem Spiel, das für andere geschrieben wurde.

Fortschritte mit Anlauf

Es wäre unfair zu behaupten, die Gaming-Welt hätte sich nicht bewegt. In den letzten Jahren ist ein echter Wandel zu beobachten – wenn auch eher in Schritten als in Sprüngen. Spiele wie „The Last of Us Part II“ setzen neue Maßstäbe: Mit Ellie steht eine junge, lesbische Frau im Mittelpunkt. Ihre Geschichte ist keine Fußnote, keine Randbemerkung, sondern das Herzstück der Handlung. Ihre Beziehung zu Dina wird ernst genommen, ohne übersexualisiert oder exotisiert zu werden. Man liebt, leidet, trauert mit ihr – weil sie nicht „anders“ ist, sondern einfach nur menschlich. Auch „Tell Me Why“ von Dontnod Entertainment geht mutig voran. Es ist das erste große Spiel eines bekannten Studios mit einem trans Mann als Hauptcharakter – authentisch dargestellt, in Zusammenarbeit mit LGBTQ+-Berater entwickelt. Kein aufgesetztes „Diversity-Feature“, sondern Teil der Geschichte, Teil der Welt.

Diese Beispiele sind wichtig, denn sie zeigen, was möglich ist, wenn Vielfalt nicht nur als Checkbox verstanden wird, sondern als Chance für tiefere, wahrhaftigere Erzählungen. Und genau hier zeigt sich auch ein neuer Hype-Faktor beim Gaming. Es sind nicht länger nur Grafik oder Gameplay, die Spieler begeistern – es ist die emotionale Tiefe, die Repräsentation und der Mut, gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen. Vielfalt ist kein Nischenthema mehr, sondern ein Qualitätsmerkmal, das Diskussionen anstößt, Menschen berührt – und Spiele unvergesslich macht.

Macht der Charaktererstellung

Charaktereditor in einem Spiel

Eines der wichtigsten Instrumente für Inklusion liegt im Detail: der Charaktereditor. Er ist der Ort, an dem Spieler sich selbst erschaffen – oder wenigstens eine Version, die ihnen nahekommt.

Ein guter Editor erlaubt:

  • die Auswahl unterschiedlicher Hauttöne, Körpertypen, Frisuren – ohne Wertung
  • geschlechtsneutrale Optionen bei Stimme, Kleidung und Namen
  • die Möglichkeit, keine Geschlechterzuweisung vorzunehmen
  • eine respektvolle Darstellung körperlicher Vielfalt, z. B. sichtbare Behinderungen, Prothesen, Narben

Doch oft scheitert es schon an der Oberfläche. Spieler berichten regelmäßig davon, dass es für sie keine passende Option gibt – sei es bei afro-texturiertem Haar, nicht-binären Pronomen oder körperlicher Diversität. In vielen Rollenspielen kann man zwar aus zwanzig Bartstilen wählen, aber keine Figur mit einem Rollstuhl oder einer sichtbaren Behinderung erstellen. Die Vielfalt endet dort, wo sie unbequem wird.

Diversity hinter den Kulissen

Geschlechterverteilung in der Games-Entwicklung

Ein Spiel erzählt immer auch die Geschichte seiner Schöpfer. Und hier liegt ein weiteres Problem: Die Entwicklerbranche ist nach wie vor stark männlich dominiert, oft weiß, oft westlich geprägt. Laut der “Developer Satisfaction Survey 2023” der International Game Developers Association (IGDA) identifizieren sich nur 22 % der befragten Game-Developer als weiblich, während über 67 % männlich sind. Der Anteil nicht-binärer Personen liegt bei rund 5 % – eine Zahl, die zwar wächst, aber noch weit von echter Gleichstellung entfernt ist. Auch ethnische Vielfalt bleibt begrenzt: Die Mehrheit der befragten Entwickler stammt aus weißen, westlichen Kontexten, People of Color oder Menschen mit Behinderung sind deutlich unterrepräsentiert.

Kein Wunder also, dass viele Spiele dieselben Perspektiven wiederholen. Dabei gilt: Vielfalt im Team bringt Vielfalt im Spiel. Wer unterschiedliche Lebensrealitäten kennt, stellt andere Fragen, denkt andere Figuren, erschafft andere Erlebnisse. Studios wie Naughty Dog, Dontnod, Guerrilla Games oder Indie-Entwickler wie Fullbright haben das längst erkannt und setzen bewusst auf diverse Teams – und profitieren von neuen Ideen, treuen Communities und kritischem Respekt.

Tokenism und Stereotype

Doch wo Licht ist, ist oft auch Schatten. Nicht jede Form von Diversität ist automatisch ein Fortschritt. Allzu oft verfallen Entwickler dem sogenannten „Tokenism“ – also dem Einbauen einzelner „diverser“ Charaktere, ohne sie mit Tiefe oder echter Bedeutung auszustatten. Die schwarze Figur stirbt zuerst, der schwule Nebencharakter wird zum Witz, die trans Figur zum tragischen Schicksal. Vielfalt wird zur Kulisse, nicht zum Inhalt.

Noch schlimmer: Wenn Games stereotype Bilder verstärken. Die hypersexualisierte Kriegerin, der gefährliche Migrant, der „weiblich aussehende“ Bösewicht – solche Darstellungen prägen das Unterbewusstsein. Wer in zehn Spielen hintereinander nur weiße Helden spielt, verinnerlicht irgendwann, dass andere Rollen weniger wichtig seien. Das ist keine bewusste Entscheidung – aber ein gefährlicher Effekt.

Community mit Verantwortung

Und dann ist da noch die Community. Die Spieler selbst. Sie lieben ihre Games, diskutieren auf Foren, streamen auf Twitch, bewerten auf Metacritic. Und sie haben Macht – sowohl zum Guten als auch zum Schlechten. Eine konstruktive Kommunikation mit der Community ist deshalb entscheidend: Nur wenn Entwickler und Spieler auf Augenhöhe miteinander sprechen, kann sich eine gesunde, respektvolle Diskussionskultur entwickeln.

Beispiel gefällig? Als Horizon Forbidden West erschien, gab es online eine hitzige Debatte über das Aussehen der Protagonistin Aloy. Sie sei „zu maskulin“, „nicht hübsch genug“, „nicht sexy“. Die Entwickler hielten dagegen – und blieben ihrer Vision treu. Gut so.

Aber nicht immer endet es so. Immer wieder sehen sich Entwickler massiven Anfeindungen ausgesetzt, wenn sie Vielfalt sichtbar machen. Hateful Comments, Review-Bombing, organisierte Shitstorms – wer Normen herausfordert, wird oft angefeindet. Auch Streamer erleben diese Schattenseite, wenn sie Haltung zeigen und dafür mit Hass überzogen werden. Und doch ist genau das nötig. Veränderung braucht Mut. Und Rückgrat.

Vielfalt ist kein Modetrend

Videospiele sind ein Spiegel – und ein Projektor zugleich. Sie zeigen uns, wer wir sind, aber auch, wer wir sein könnten. Sie haben das Potenzial, Grenzen zu verschieben, Mauern einzureißen, Empathie zu erzeugen. Diversity und Gendergerechtigkeit in Games bedeuten nicht, dass jeder Titel ein politisches Manifest sein muss. Aber sie bedeuten, dass jeder Mensch sich irgendwo wiederfinden darf – ohne sich verbiegen zu müssen. Vielleicht ist die ultimative Quest der Gaming-Industrie nicht der Kampf gegen Drachen oder Zombies, sondern gegen die blinden Flecken im eigenen System. Gegen eingefahrene Rollenbilder. Gegen den Gedanken, dass eine Geschichte nur dann universell ist, wenn sie von einem weißen Mann erzählt wird.

Denn am Ende sind wir doch alle auf der Suche nach demselben: einem Platz im Spiel, der sich nach Zuhause anfühlt.